Eigentlich ist es viel zu früh für mich einen Text über die politische Situation hier im Land zu verfassen. Mein Spanisch reicht derzeit bei weitem nicht für tiefgreifende politische Analysen aus und ich habe weder viel vom Land gesehen, noch (bis jetzt) sehr viel Zeit in Ecuador verbracht. Dessen ungeachtet gab es jedoch gestern die wichtige (Stich)Wahl für die Präsidentschaft des Andenstaates. Zuhause in Deutschland wird davon wohl kaum großartig Notiz genommen. Bestenfalls, wenn es darum geht, dass Wikileaks-Gründer Julian Assange sein Asyl verlieren könnte. Tatsächlich hat diese Wahl allerdings große Auswirkungen für etwa 14 Millionen Ecuadorianer, die in einem Land leben, das in etwa so groß ist, wie Deutschland ohne Bayern. Soll es so weitergehen wie bisher? Benötigt das Land Veränderung? Wie gesagt, in die Tiefe kann ich derzeit noch nicht gehen, sondern lediglich meine (begrenzten) Eindrücke beschreiben. Zum Beispiel, welche Rolle Politik in meinem Umfeld spielt. Hier in meiner Gastfamilie, war zum Beispiel völlig klar, wer der nächste Präsident werden sollte: Lénin Moreno. Auch vom Tag meiner Ankunft wurde daraus kein Hehl gemacht. Ganz im Gegenteil, gerade etwa für meine Gastmutter ist die eigene politische Überzeugung etwas, das man nicht hinter verschlossenen Türen bespricht, sondern stattdessen mit Engagement verteidigt und schon mal eine Flagge im Garten hisst. Überhaupt ist mein Eindruck, dass hier Politik absolut kein Tabuthema darstellt. Flaggen, Graffitis, Transparente, Diskussionen… mit verschiedenen Mitteln werben hier Privatpersonen für ihren Kandidaten. Diese Leidenschaft wird leider nicht nur in emotionalen Debatten eingesetzt (etwa, wenn eine (Groß?)Tante der Familie erklärt, für Lasso stimmen zu wollen), sondern bedeutet auch die Gefahr, dass es zu gewaltsamen Ausbrüchen kommen könnte (Konjunktiv, wohlgemerkt). Vor der Wahl meinte mein Sprachlehrer etwa auf meine Frage hin, dass er durchaus Schlägereien und gewaltsame Proteste in Quito nach der Wahl erwarten würde (in anderen Großstädten wenn überhaupt nur vereinzelt und hier in Otavalo überhaupt nicht). Wohl auch deswegen gilt in Ecuador vom Tag vor der Wahl bis zum Tag danach (allerdings nur bis 12 Uhr) ein striktes Alkoholverbot. So, wie vor ein paar Jahrzehnten auch noch in Österreich (wo dann der Wein eben in Kaffeetassen ausgeschenkt wurde). Übrigens nicht die einzige Alternative. Damals galt in der Alpenrepublik auch noch eine Wahlpflicht, wie sie Ecuador noch heute besitzt. Natürlich hindert das niemanden mit ungültig zu stimmen, aber - um vorweg zu greifen - nur etwa 13% haben von dieser Option Gebrauch gemacht. In jedem Fall steht das Land vor einem Scheideweg, da (noch)Präsident Correa nach 10 Jahren im Amt nicht mehr antreten konnte. Für viele, gerade in meinem Umfeld, gilt seine Politik als durchaus erfolgreich und positiv für das Land, auch wenn ich in den meisten Gesprächen über ihn immer wieder ein bestimmtes Attribut höre: „prepotente“. Als Person selbst von seinen Befürwortern umstritten, hat er jedoch in seiner Amtszeit zahlreiche Reformen (u.A. etwa im Bildungswesen) durchgesetzt und in den Augen vieler, hat dies das Land durchaus verbessert. Lénin Moreno steht in diesem Sinne für Kontinuität. Als Vize-Präsident hat der 2012 für den Friedensnobelpreis nominierte Politiker die Entscheidungen Correas mitgetragen. Der seit einem Raubüberfall an einen Rollstuhl gefesselte Autor einiger Bücher über den Humor und UN Botschafter für Menschen mit Handicaps bzw. Barrierefreiheit gilt hierzulande im Kontrast zu seinem (noch) Chef als ruhiger und bedachter Mensch. Ihm gegenüber stand Guillermo Lasso, ein Mann der Wirtschaft, der die Schaffung von mehr als einer Million Arbeitsplätzen versprach. Und eben das Ende von Julian Assanges Asyl. Lasso selbst ist wie Lénin kein Newcomer in der Politik, sondern war nicht nur in der vorangegangenen Wahl Präsidentschaftskandidat, sondern auch bereits Superminister für Wirtschaft und Energie. Gerade letzteres Amt ist allerdings mit Korruptionsvorwürden begleitet. So ergaben Recherchen der Zeitung Página 12, dass Lasso in der Zeit der Währungsumstellung (vom Sucre auf den US-Dollar) sein Vermögen massiv gesteigert und in 49 Offshore-Firmen angelegt hatte. Hinzu kommt, dass er als größter Anteilseigner der Banco de Guayaquil hinter einer der größten Banken des Landes steht. Beinahe-Friedensnobelpreisträger gegen Banker? So gesehen wirkt die Antwort eindeutig, aber diese Sichtweise ist natürlich subjektiv und wenig differenziert. Die Realität gestern Abend hat gezeigt, dass die Entscheidung alles andere als eindeutig ist. Mit nur 51,14 % konnte sich Lénin knapp durchsetzen. Etwa 185.000 Stimmen haben den Unterschied gegeben und in einer weiteren Parallele zu Österreich scheint es als ob der rechte Kandidat Lasso das Wahlergebnis anfechten würde. Das alles kann man jedoch auch von Deutschland aus nachlesen. Für mich interessanter war der Wahltag in Otavalo selbst. Im Vorfeld, muss ich gestehen, hatte ich mir auch ob des Enthusiasmus um mich herum etwas mehr… Spannung erwartet. Ganz im Gegenteil dazu habe ich den Tag in Otavalo extrem entspannt wahrgenommen. Das Stadtzentrum war belebt von Otavaleños, die den Sonntag (im Falle der Indígenas häufig in der traditionellen Tracht) genossen. Ein Kontrast zum Vortag, als der berühmte Markt viele Touristen in die Stadt gelockt hat. Nahezu nichts wies darauf hin, dass für das höchste Amt im Staat abgestimmt wurde. Bis auf ein paar Straßensperren, die die Zufahrt zu einer Kreuzung verhinderte. Interessiert fand ich dort dann zwei Schulen, die – ganz ähnlich wie bei uns – als Wahllokale dienten. Ungewöhnlicher fand ich dagegen die starke Polizeipräsenz, die die Eingänge zur Schule und die Umgebung absicherte, sowie die Militärs, die auf dem Schulgelände Spalier standen. Etwas eingeschüchtert davon habe ich auch nur wenige Fotos geschossen und nachdem es nicht viel zu sehen gab, mich dann auf den Heimweg gemacht. Zuhause fand ich dann auch keine Großfamilie vor, die gebannt vor dem Fernseher die ersten Prognosen und Hochrechnungen verfolgte, sondern ein fast leeres Haus. Beim Abendessen kam dann die für meine Gastfamilie freudige Nachricht, dass Lénin gewonnen hat (übrigens das erste Mal in der Geschichte des Landes hat sich eine Partei mit einem neuen Kandidaten als Sieger behaupten können). Auf dem Smartphone meines Gastvaters verfolgten wir dann die recht entspannt wirkenden Siegesfeiern und sahen uns Fotos an von Familienmitgliedern und Freunden, die mit den gelbgrünen Léninfahnen feierten. Alles in allem gab es also kein Spektakel, sondern einen sehr, sehr ruhigen Wahltag in der Kleinstadt Otavalo.

Heute hatte ich dann in einem User-Kommentar zu einem Artikel der österreichischen Zeitung Der Standard etwas von Straßenschlachten in Ecuador gelesen. Etwas, das ich von hier aus überhaupt nicht bestätigen kann (eine Tochter der Familie studiert in Quito und auch mein Sprachlehrer hat nichts von ernsthaften Auseinandersetzungen gehört). Tja, derzeit sieht es einfach so aus, als ob Ecuador die Stichwahl besser hinbekommen hätte wie Österreich (beim ersten Mal). Vielleicht schaffe ich es noch im Laufe der Zeit einen besseren Eindruck mit tiefergreifenden Diskussionen zu bekommen und kann dann Interessanteres berichten.

 

Politische Dämmerung?

Zahlreiche Graffitis werben für Lénin Moreno, während hier in Otavalo der Name Lasso nur selten gesprüht wurde.

Straßensperren und Obststand

Straßensperre ist beinahe ein zu hartes Wort. Spontane Fußgängerzone trifft es vielleicht eher. Passend dazu fanden sich auch einige Stände, die Eis, Obst oder Snacks verkauften.

Wahllokal

In Neongelben Warnwesten sicherte die polizei das Gelände ab. Ganz in der Bildmitte befinden sich dann die Militärs. Alles in allem aber super entspannt. Wie der Eisstand beim Eingang zeigt.

Gemütlicher Sonntag

Der graue Wagen gehört der Wahlaufsichtsbehörde, deren Mitarbeiter gerade angekommen waren, als ich dabei war ein paar Fotos unter den desinteressiert skeptischen Blicken der Polizei zu schießen.